Scheinselbstständig oder (abhängig) beschäftigt – Pflegefachkraft
Alles was Recht ist und praktisch von Nutzen
⇒ Einordnung des Themas
Ob jemand selbstständig tätig oder (als Arbeitnehmer/in) beschäftigt ist, hat im Steuerrecht, im Arbeitsrecht und im Sozialrecht sowohl unterschiedliche Voraussetzungen als auch unterschiedliche Konsequenzen. Hier geht es um die Voraussetzungen und Konsequenzen im Sozialrecht; bei einer Beschäftigung als Arbeitnehmer/in besteht eine Beitragspflicht in der gesetztlichen Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung. ⇒ Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)
Ob die Tätigkeit einer Pflegefachkraft als sozialversicherungspflichtig oder als selbständig zu bewerten ist, richtet sich nach § 7 Sozialgesetzbuch (SGB) IV; es ist zu entscheiden, ob die Tätigkeit nach Weisungen und mit einer Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Pflegeeinrichtung vorgenommen wird – dann ist sie sozialversicherungspflichtig.
Das BSG nimmt „im Regelfall“ eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit an. Das gilt auch dann, wenn der Vertrag mit der Pflegefachkraft als Vertrag über eine selbstständige Tätigkeit geschlossen wurde; und das gilt selbst dann, wenn insoweit übliche Bestimmungen im Vertrag enthalten sind, dass die Tätigkeit weisungsfrei ausgeübt wird, ein Dienst nicht übernommen werden muss, eine Tätigkeit auch für andere Auftraggeber ausgeübt werden kann oder ähnlich. Das BSG begründet dieses Ergebnis damit,
* dass sich aus dem Recht der Pflegeversicherung – SGB XI – regulatorische Rahmenbedingungen für Pflegeeinrichtungen ergeben, nach denen der Betreiber die Verantwortung für Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität hat und diese kontrollieren muss und
* dass diese Verantwortung „im Regelfall“ dazu führt, dass Pflegefachkräfte in die Weisungs- und Organisationsstruktur der Pflegeeinrichtung eingegliedert sind.
Der hier vom Gericht entschiedene Fall betraf einen Vertrag über eine selbständige Tätigkeit als Honorarpflegekraft; vertraglich war vereinbart, dass sie die Pflegequalität durch Visiten, Qualitätschecks, Rundgänge und Einblicke in die Dokumentation sicherzustellen hatte. Das änderte für das BSG am Ergebnis nichts, da wegen der Konzeption des SGB XI der Betreiber die Gesamtverantwortung habe; hinzu komme, dass auch die Honorarpflegekraft letztlich im Rahmen der Dienstplanung des Betreibers tätig sei. ⇒ Dimension und Auswirkungen der Rechtsprechung * Reichweite bei Pflege und anderen Tätigkeiten
Diese Rechtsprechung gilt unmittelbar für Pflegefachkräfte bei stationärer – und Tagespflege; ob sie auf die ambulante Pflege zu übertragen ist, ist gerichtlich nicht entschieden. Es spricht Vieles dafür, dass die Argumentation nicht auf die ambulante Pflege zu übertragen ist. Die Rechtsprechung gilt auch für Honorarärzte in Krankenhäusern. * Aus der Sicht der Pflegefachkraft
War sie selbständig tätig und stellt sich später heraus, dass sie im Sinne des Sozialrechts (abhängig) beschäftigt war, war sie pflichtversichert in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- , Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Die Sozialversicherungsbeiträge müssen rückwirkend nachgezahlt werden, sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerbeiträge. Die Nachzahlungspflicht – auch für die Arbeitnehmerbeiträge – trifft aber die Pflegeeinrichtung als Arbeitgeber; ein Anspruch auf Erstattung der Arbeitnehmerbeiträge gegen die Pflegefachkraft besteht allenfalls für 3 Monate.
Die Bezahlung in selbständiger Tätigkeit ist in der Regel höher als die als Beschäftigter. Deshalb besteht für die Pflegefachkraft das Risiko, Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit zurückzahlen zu müssen, soweit sie über dem üblichen Entgelt für eine abhängige Beschäftigung lagen.
Grundsätzlich zu diesem Risiko: > Scheinselbstständigkeit – finanzielle Risiken für Scheinselbstständige und Auftraggeber *Aus der Sicht der Pflegeeinrichtung
Steht rechtskräftig fest, dass ein abhängiges Beschäftigtenverhältnis vorliegt, sind Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile der Sozialversicherungsbeiträge bis zu 4 Jahren rückwirkend nachzuzahlen. Das gilt ggf. nicht für Krankenversicherungsbeiträge: Wenn die Pflegefachkraft während der selbstständigen Tätigkeit privat krankenversichert war, können dafür gezahlte Beiträge nicht zurückgefordert werden! Pflegeeinrichtungen sollten sich daher in diesem Fall wehren, wenn eine gesetzliche Krankenversicherung nunmehr rückwirkend auch Krankenversicherungsbeiträge fordert. Ein Ausweg aus der Verpflichtung, rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge zahlen zu müssen, kann die Berufung auf eine Kurzfristigkeit der Auftragsvergabe an die selbständig tätige Pflegefachkraft sein.
Pflegeeinrichtungen können sich nicht auf einen Vertrauensschutz berufen – auch dann nicht, wenn Betriebsprüfungen vorher eine selbständige Beschäftigung bescheinigt hatten -.
Wenn die Pflegefachkraft nicht zur Sozialversicherung angemeldet wird, besteht das Risiko einer Strafbarkeit wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen ( § 266 Strafgesetzbuch (StGB) ) oder zumindest eines Bußgeldes wegen Schwarzarbeit ( § 8 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwArbG)); bei einem Arbeitsunfall droht eine Erstattungspflicht gegenüber der Berufsgenossenschaft ( § 110 SGB VII). ⇒ Konsequenzen
Die Formulierung im Urteil des BSG aus 2019 lautet, dass aus den genannten Gründen „im Regelfall“ von einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auszugehen sei. Gegen die Annahme eines Regelfalles auch für die Zukunft sprechen Entwicklungen durch das Pflegeberufegesetz (PlfBG): Dieses sieht vor, dass Pflegekräften mit entsprechender Berufserfahrung und – erlaubnis bestimmte Aufgaben – z.B. Erhebung und Feststellung des individuellen Pflgegebedarfs, die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses oder die Evaluation und Entwicklung der Pflegequalität – ausschließlich vorbehalten sind. Sind die Aufgaben einer selbständig tätigen Pflegefachkraft so gestaltet, kann man schon die Frage stellen, ob die Argumentation des BSG gegen eine Selbständigkeit noch tragfähig ist. Hinzu kommt, dass eine funktionale Selbstverwaltung der Pflegefachkräfte in Form von Pflegekammern Gestalt annimmt; auch mit Blick darauf kann man mit guten Gründen die Frage stellen, ob sie mit dem BSG tatsächlich auch zukünftig als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte angesehen werden müssen. Ein Blick auf den Einzelfall und insbesondere auf die Gestaltung zukünftiger Verträge kann sich daher lohnen.